Sonst nichts
Barbara Gass
ISBN: 978-3-99126-173-5
28,5 x 24,5 cm, 92 Seiten, zahlr. Abb.: Duoton-Druck, Hardcover m. Schutzumschl.
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Kurzbeschreibung
Etwas Geheimnisvolles, fast eine Art von Zauber liegt in den Fotografien von Barbara Gass. Es sind stille Bilder, die man eher im Verborgenen entdecken muss, die gelesen werden möchten, wie Texte der Poesie.
In ihrer analogen, silberschimmernden Feinheit wird uns auch das ursprüngliche Wesen der Fotografie bewusst.
Das Licht hinterlässt feine Spuren in der Silberschicht des Films. In einem chemischen Prozess, fast möchte man sagen, in einer magischen Umsetzung in der dunklen Kammer, werden sie zu Bildern.
(Dieter Hinrichs)
nein sonst nichts als das was da ist mit halb geschlossenen augen im park und auf stühlen weißbier im hellen anzug wer braucht schon ein kleines fahrrad um über die wellen ans meer zu reiten auf elefanten mit soo viel mut in ihren mienen aber das mädchen ja handschuhe und jetzt zeigen sie mir mal den knaben eingeschlafen inmitten von gänsen da küssen sich welche zwei paare gleich die scheinen sich aber gar nicht zu kennen die rolltreppe will nichts davon wissen im winter stehen alle denkmäler still und hunde unter den wehenden fahnen was springt da die katze ins bild wir sind aber zu dritt und meinen es gut mit dir letztlich ist das auch nur ein hemd und du meinst wirklich sonst nichts?
(Jörg Neugebauer)
Rezensionen
Gerd Holzheimer: In ihrer analog silberschimmernden FeinheitZu dem Band Sonst nichts mit Aufnahmen von Barbara Gass
Es gibt in unserer Leserschaft welche, die gelegentlich beinah stolz erzählen, dass sie die Literatur in Bayern sammeln – manche seit der Nummer 1. Wer zumindest die Ausgabe 135 in seinem Besitz hat, findet auf dem Titel mit dem Schwerpunkt »Lebensläufe in Bayern« Heinz Braun, in einem gemalten Selbstporträt eher durch einen Himmel rudernd als durch einen See. Barbara Gass hat uns seinerzeit freundlicherweise Aufnahmen zur Verfügung gestellt, die den Maler in verschiedenen Lebenssituationen zeigen, u. a. gleich auf der Seite mit dem Inhaltsverzeichnis: bei Dreharbeiten zum Film Der junge Mönch von Herbert Achternbusch auf Island. Bei der Gelegenheit sieht man ihn, wie er, in seinem Brotberuf Briefträger, dort Post austrägt: Er wirft sie in einen Vulkan. Andere Aufnahmen zeigen Achternbusch in noch nahezu brüderlicher Eintracht mit Sepp Bierbichler, 1977.
Auf weiteren Bildern ist Herbert Achternbusch bei Aufnahmen in Unterbrunn bei Gauting zu sehen zu dem Film Der Neger Erwin. Entschuldigung, aber posthum lässt sich der Titel des Films nicht mehr correctnessieren, er heißt so. Der geniale Sammler Hermann Geiger hat ihn jüngst in Unterbrunn noch einmal gezeigt. Barbara Gass hat der Literatur in Bayern 135 Fotos überlassen, die nicht in dem Filmbuch Neger Erwin enthalten sind, sondern hier erstmals veröffentlicht wurden. Auf einem sieht man Herbert Achternbusch und das Nilpferd Mamba Anita vom Circus Atlas im Hof des Gasthofs Böck in Unterbrunn in dem Film Neger Erwin. Auf einem anderen ist wieder das Nilpferd an gleicher Stelle zu erkennen, mit Achternbusch und Annamirl Bierbichler als »Susn«, 1981. Die Geschichte mit dem Nilpferd Mamba Anita ist vermutlich auch nicht mehr correct. Annamirl Bierbichler, die liebenswürdig herbe ehemalige Wirtin in Ambach, große Schauspielerin und langjährige Lebensgefährtin von Herbert Achternbusch, weilt, Gott sei’s geklagt, schon lange nicht mehr unter uns, seit 2005. Als bereits irdisch abgehobene Schönheit so eigener Art, dass es schon traurig macht, sieht man noch einmal das Gesicht der Annamirl Bierbichler.
Nun gibt es einen neuen Band mit den wundersamen Bildern von Barbara Gass. Auf dem Titel sieht man eine runde weiße Tischplatte, auf welche die Schattenrisse von Blättern fallen, die wohl von Ästen eines nahestehenden Baumes herrühren. Kleine Hände, offenkundig die eines Kindes, liegen auf dem Tisch; das Kind selbst ist nicht zu erkennen. »Sonst nichts«, wie der geniale Titel des Buchs heißt.
Kongenial sind auch die einleitenden Texte, welche auf die Bilder hinführen, beginnend beim Klappentext von Dieter Hinrichs, der so konzis ist, dass man ihn nur als Ganzes zitieren kann:
»Etwas Geheimnisvolles, fast eine Art von Zauber liegt in den Fotografien von Barbara Gass. Es sind stille Bilder, die man eher im Verborgenen entdecken muss, die gelesen werden möchten, wie Texte der Poesie. In ihrer analogen, silberschimmernden Feinheit wird uns auch das ursprüngliche Wesen der Fotografie bewusst. Das Licht hinterlässt feine Spuren in der Silberschicht des Films. In einem chemischen Prozess, fast möchte man sagen, in einer magischen Umsetzung in der dunklen Kammer, werden sie zu Bildern.«
Auch das Motto des Buches hätte nicht treffender gewählt werden können als mit diesem Zitat von Lars Gustafsson: »Fast alles, was geschieht, wird von niemandem gesehen.«
Nicht anders verhält es sich mit dem Text von Jörg Neugebauer, aus dem man unmöglich etwas herausgreifen könnte und der nur in seiner Ganzheit poetisch genau das umsetzt, was Barbara Gass in ihren Bildern zeigt.
nein sonst nichts als das was da ist mit halb geschlossenen augen im park und auf stühlen weißbier im hellen anzug wer braucht schon ein kleines fahrrad um über die wellen ans meer zu reiten auf elefanten mit soo viel mut in ihren mienen aber das mädchen ja handschuhe und jetzt zeigen sie mir mal den knaben eingeschlafen inmitten von gänsen da küssen sich welche zwei paare gleich die scheinen sich aber gar nicht zu kennen die rolltreppe will nichts davon wissen im winter stehen alle denkmäler still und hunde unter den wehenden fahnen was springt da die katze ins bild wir sind aber zu dritt und meinen es gut mit dir letztlich ist das auch nur ein hemd und du meinst wirklich sonst nichts?
Wir vertrauen auf Richard Pils, Verleger des wunderbaren Verlags Bibliothek der Provinz, und hoffen, die Autoren sind einverstanden, dass wir sie in dieser »Besprechung« in voller Länge zitieren. Was wir in diesem Buch sehen, ist das Leben, unser aller Leben – sonst nichts.
(Gerd Holzheimer, Rezension in: Literatur in Bayern. Kulturzeitschrift, 38. Jahrgang, Heft 153, September 2023, S. 5 ff.)
Gregor Auenhammer: Stilles Sein statt Schein
Wider die Bilderflut unserer Tage, absolut reduziert, fast verweigernd erscheint das feine, wie aus vergangenen Zeiten anmutende Fotoalbum von Barbara Gass. Sonst nichts heißt es trefflich – und gerät zur nonverbalen Meditation über das Sein.
Erinnerungsstücke sind es, die uns die 1939 Geborene vor Augen legt. Subjektiv, naturgemäß. Mit der Reizüberflutung, der Schnelllebigkeit, der Überfrachtung, ja, Überforderung durch Millionen Pixel einerseits und akustischem Sondermüll andererseits hat diese sorgsame Komposition nichts zu schaffen. Im Gegenteil: Die Edition ist geprägt von Stille, von Wirkkraft und Raum. Ein geheimnisvoller Zauber liegt in den Fotografien von Gass; dass es sich ausschließlich um analoge Fotografien handelt, braucht man eigentlich nicht zu erwähnen. Oder doch? „Das Licht hinterlässt feine Spuren in der Silberschicht des Films“, sagt Dieter Hinrichs. „In einem chemischen Prozess, fast möchte man sagen, in einer magischen Umsetzung in der dunklen Kammer, werden sie zu Bildern.“ Sic!
Kurze Texte hat Gass einigen erwählten Fotos zur Seite gestellt. Fragmente, poetisch, affirmativ sekundierend. Abgesehen von einer Handvoll Fotos von bekannten Persönlichkeiten wie Herbert Achternbusch, mit dem sie jahrzehntelang zusammengearbeitet hat, oder Monika Hansen enthält das Album von Barbara Gass ausschließlich Persönliches, Unbekanntes. Subjektiv objektiv, wie gesagt. Kinder, Bäume, Schattenrisse. Hände, Sandkörner, Wolkenmeere. 2020 hat die in München Lebende ihren Vorlass der Bayerischen Staatsbibliothek übergeben. Katharina Kuhlmann und Richard Pils ist es nun zu verdanken, dass ihr Werk in aller Stille weiterwirken kann.
(Gregor Auenhammer, Rezension im Standard-Album vom 18. November 2023, S. A7)
Lisa Bolyos: Fotos, sonst nichts
Eine schwarze Katze, verschwommen, am Sprung über Autodächer – Arles, 1982. Blüten, auf den Weg gestreut, in einem Park in New Jersey, die eingepackten Rosen im Burggarten in Wien. Dazwischen Fotos von Bekannten, Freund:innen, witzige Straßenszenen.
Barbara Gass, 1939 in Westdeutschland geboren, ist über die Jahrzehnte konsequente Fotoarbeiterin geblieben. Bekannt wurde sie vielen über ihre Zusammenarbeit mit dem Künstler Herbert Achternbusch, an dessen Filmsets sie fotografiert hat. Und da taucht er auch auf, unvermutet, im ersten Drittel des Buches, in weißem Anzug mit weißem Hut, weißem Hund und Weißbier, jung noch, ein nettes Porträt.
Sonst nichts heißt der Gass-Band, den die Bibliothek der Provinz in ihrer art Edition herausgegeben hat. Für Anhänger:innen der analogen Fotografie, des Materials, aber auch der simplen Street Photography ist viel dabei.
Es ist ein Blättern durch Jahrzehnte – Barbara Gass hat in den 1950er-Jahren mit dem Fotografieren begonnen und nicht mehr damit aufgehört. Ein wenig mehr kuratorische Arbeit würde man dem Band wünschen – oder nein, ein wenig Einblick in die Motivation, gerade dieses und jenes auszuwählen, dieses und jenes zusammenzustellen. Aber vielleicht ist es auch eine gute Übung, auszuhalten, dass die vielschichtigen Bilder mit ihren kargen Titeln ohne Rahmen bleiben; sich zuzutrauen, das fotografische Œuvre von Gass über eine nicht unbedingt nachvollziehbare Auswahl an Fotografien kennenzulernen. Und dadurch Lust auf mehr zu bekommen.
(Lisa Bolyos, Rezension in: WeiberDiwan. Die feministische Rezensionszeitschrift #2/23, Herbst 2023, S. 10)
https://weiberdiwan.at/cms/wp-content/uploads/2023/11/WD_2_2023.pdf#page=10