lass mir die Ahnung von gestern
Gedichte
Verena Gotthardt
ISBN: 978-3-99126-188-9
21×12,5 cm, 80 Seiten, zahlr. farb. Abb., Hardcover
13,00 €
Neuerscheinung
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Kurzbeschreibung
Beim Lesen der Gedichte LASS MIR DIE AHNUNG VON GESTERN, die frei sind von romantischen Metaphern für das ländlich Schöne – das Schöne im Land! – hat mir ein Traum, ein Tag-, Nacht oder Lesetraum?, auf die „Sprünge“ geholfen und mich aus dem Zauber der Schneekugel erlöst, diesem Mitbringsel aus der Hölle, in dem ich mich mit einem beschneiten Sargnagel wieder einmal zu lange um die eigene Achse gedreht habe.
(Josef Winkler)
IN DEN AUGEN EIN GELBES KORN
kann sein, dass der Schnee / so weiß
oder wie man will /
müder Tau
in der Hand / und
auf der Fingerkuppe
fällt kein Schatten mehr /
alles gelb /
wieder März /
und / wie die Zeit
so schnell und hört nicht auf /
hebt sich der Saharastaub hoch / und
über die Augen
[Fotografien von Verena Gotthardt aus der Serie „schwärmen“]
Rezensionen
Pol Edinger: Starke Lyrik aus der jungen GenerationMit lass mir die Ahnung von gestern legt die 1996 in Klagenfurt geborene Verena Gotthardt ihren zweiten Gedichtband vor. Im Verlag Bibliothek der Provinz ist die schmale, ausdrucksstarke Sammlung im visuellen Zusammenspiel mit Fotografien der Künstlerin erschienen.
Die Fotoserie trägt den Titel „schwärmen“. Passend sind die Motive den Gedichten gegenübergestellt: verwischte Schemen, weites Weiß, dazwischen die bewegte, nicht fassbare Form. Sie schwärmt, als Bewegtes, durch den Raum der Seiten, wie es die Gedichte in sich selbst tun. Letztere öffnen mit ihren Sprachbildern weite Bedeutungsräume, die allerdings dann von der Lyrikerin nicht banal aufgelöst werden. In der Öffnung, semantisch wie vor allem syntaktisch, liegt der eigentümliche Reiz der Lyrik von Verena Gotthardt. Dabei ist es kein leichtes, solche Bildräume nicht bis zu einer relativen Aussagelosigkeit hin zu komponieren. Denn dort wo die Sprache sich in ungewohnten Formationen der Interpretation öffnet, setzt sie sich schnell dem Verdacht der Aussage-, ja, Bedeutungslosigkeit aus. Diese willkürliche Weite aber findet sich in Gotthardts Gedichten nie.
Gleichzeitig sind sie allerdings auch nicht selbstverständlich zugänglich. Die Gedichte sind keine Versuche, das Genaue auszusagen, sondern Zugeständnisse an die Tatsache, dass die entscheidendsten Dinge des Lebens letztlich viele Bilder kennen. In diesem Zugeständnis an die eigene wesentliche Subjektivität entwickelt die Sprache der Dichterin die Freiheit, sich dem Fragen selbst mit immer neuer, lichter Ausdruckskraft zu stellen. Weder absichtlich rätselhaft, noch als erzwungen anmutende Chiffren konstruiert, stellt jedes Gedicht diese existenziellen Fragen nach dem Woher, Wohin und Weshalb immer wieder von Neuem. In dieser Freiheit entwickelt Verena Gotthardts Sprache einen eigenen Stil, der mit einer zurückhaltenden Sprache dichte und ungemein schöne Bilder schafft. Tief empfindsam, fallen die Gedichte gelichzeitig durch das klare und schmucklose Vokabular nie in Empfindlichkeit ab – im Gegenteil, die Bildfragmente, die sich in den einzelnen Gedichten öffnen, zeigen eine beeindruckende Verbindung aus Bedeutungstiefe und Klarheit im Ausdruck.
Natur und Sprache als Verhandlungsmotive
Den gesamten Gedichtband durchziehen mit der Natur und der Sprache zwei wesentliche Grundthemen. Viele der Bilder entstehen ursprünglich aus der Naturbetrachtung. Wie Caspar David Friedrich die Landschaften seiner Gemälde aus einer Vielzahl von Skizzen verschiedenster Natureindrücke zusammengesetzt hat, sind auch Gotthardts sprachliche Naturbilder kondensierte Visionen. Aus der empirischen Betrachtung in den inneren Klangraum ihres Empfindens gedrungen, scheinen sie durch viele Schichten seelischen Erlebens gesickert zu sein, bis sie, wie ein Gebirgsquell, klar und frisch in die abgedruckten Wortfolgen gefunden haben. Anders als bei Caspar David Friedrich aber, wo die Naturdarstellung zum Symptom des romantisch-melancholischen Einsiedlers wird, bleiben die Landschaftsbilder in Verena Gotthardts Lyrik komprimierter und verlieren, trotz ihrer symbolischen Dimension, nichts von ihrer Eigenständigkeit und klaren Schönheit. In „im Wald mit den Pinien“ heißt es beispielsweise: „legt sich das Innere nicht mehr nieder/ und steht da, wie ein Pinienwald/ in frostklirrende Hände ruheloser Tage gelegt“. Landschaft und Wetter sind keine reinen Projektionsflächen für Gefühle, sie sind ebenso Ausdruck wie Auslöser derselben wie wirkmächtig eigenständig.
Wiederholt thematisieren die Gedichte auch die Sprache, die als Mittel das Schreiben erst ermöglicht. In eindringlichen Bildern werden Fragen nach Möglichkeit und Ungenügsamkeit des sprachlichen Ausdrucks verhandelt. Im nur 3 Verse langen Gedicht „wie ein Bild entsteht“ wird diese unaufhörliche Suche exemplarisch ausformuliert: „wie ein Bild entsteht/ und so wie ein Wort im Mund/ also, plötzlich“
In der zeitgenössischen jungen Lyrik ist es schwer, ohne eine gewisse Lautstärke zu arbeiten und aufzufallen. Verena Gotthardt zeigt mit lass mir die Ahnung von gestern, dass beides möglich ist und, vor allem, ein sehr stimmiges und lohnendes Resultat ergibt. Mit ihren eindrücklichen wie engmaschigen Sprachbildern geht von ihren Gedichten der Reiz aus, sich ihnen immer wieder neu zu stellen ohne immer etwas gänzlich Neues zu finden, sondern das Gefundene um eine weitere Facette erweitern zu können.
(Pol Edinger, Rezension im Luxemburger Wort, online veröffentlicht am 18. Juni 2023)
https://www.wort.lu/kultur/starke-lyrik-aus-der-jungen-generation/1675194.html