Brasilianische Reisen
Die Hochzeitsreise der Erzherzogin Leopoldine nach Rio de Janeiro · Forscher, Künstler, Diplomaten und der erste Kaiser von Brasilien
Robert Wagner
ISBN: 978-3-99028-927-3
21,5×15 cm, 464 Seiten, zahlr. vierfärbige Abb., Hardcover m. Schutzumschlag u. Lesebändchen
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Kurzbeschreibung
Brasilien im Jahre 1817. Die österreichische Erzherzogin Leopoldine heiratet in Rio de Janeiro Pedro, den Kronprinzen von Portugal. Entgegen allen Erwartungen bleibt das Kronprinzenpaar in Brasilien und stellt sich selbst an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung. Fünf Jahre später ist Pedro der erste Kaiser von Brasilien. Zugleich wird auch eine Forschungsexpedition nach Brasilien geschickt. Auf abenteuerlichen Wegen sind die Forscher unterwegs und berichten von Gold- und Diamantenschürfern, vom Leben der Sklaven und vom Abwehrkampf der indianischen Ureinwohner.
Johann Natterer lebt 18 Jahre in Brasilien und heiratet am Rio Negro eine Brasilianerin mit indigenen Vorfahren, Johann Emanuel Pohl bringt von seiner Reise zwei Botokuden nach Wien, die bald die Attraktion auf Bällen und im Theater sind, Dominik Sochor stirbt an einem Fieber in den Sümpfen des Pantanal und die bayerischen Forscher Johann Bapt. von Spix und Carl Friedr. Phil. von Martius erforschen den Amazonas bis zu den äußersten Grenzen Brasiliens. Der Künstler Thomas Ender malt auf seiner Reise viele wunderbare Aquarelle. Der Blumenmaler Johann Buchberger wird schwer verletzt nach Europa gebracht und stirbt bald danach. Diplomaten sind mit ungewöhnlichen Aufgaben betraut in einer Zeit, als Brasilien das größte unabhängige Land Lateinamerikas wird.
Es geht tatsächlich um Reisen nach und in Brasilien, eine ungewöhnliche Hochzeitsreise, um Forschungsreisen kreuz und quer durch Brasilien, um Künstlerreisen und schwierige diplomatische Tätigkeiten über einen ganzen Ozean hinweg. Ort und Zeit der Handlung ist Brasilien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo aus einer völlig verschlossenen und unzugänglichen portugiesischen Kolonie, das grösste und bevölkerungsreichste unabhängige Land Lateinamerikas wurde.
Meine persönlichen Forschungen begannen mit den Brasilienaquarellen des Malers Thomas Ender, die ich im Auftrag der Wiener Akademie der bildenden Künste in mehreren Ausstellungen in Rio de Janeiro, Sao Paulo und Wien zeigen konnte. Doch bald gingen meine Recherchen weit über Thomas Ender hinaus, bis das vorliegende Buch mit seinen vielen Berichten und Ereignissen über ein heute fast unbekanntes Brasilien zusammen kam. Das Buch ist ein buntes Kaleidoskop an Geschichten, die manchmal nebeneinander stehen und dann wieder zusammenfinden.
Mittelpunkt allen Geschehens ist das Schloss „Boa Vista“ bei Rio de Janeiro, in dem Pedro und Leopoldine viele Jahre lebten und das noch bis fast zum Ende des 19. Jahrhunderts die Residenz des Kaisers von Brasilien war. In der Zeit der Republik wurde es zum Brasilianischen Nationalmuseum und es ist im September 2018 mit all seinen Sammlungen bis auf seine Grundmauern niedergebrannt.
Auch wenn manches fantastisch erscheint, so ist das Buch durchwegs ein historischer Tatsachenbericht …
(Robert Wagner)
Rezensionen
Hans Werner Scheidl: Eine „Poldl“ aus Wien in Rio de JaneiroDie vierte Tochter des Kaisers, die 1797 in Wien zur Welt kam und 1826 in Rio de Janeiro starb, war eine der Staatsraison dienende „verkaufte Braut“.
Von all den Habsburger Erzherzoginnen, und deren gab es bekanntlich viele, hat wohl Leopoldine, Tochter von Kaiser Franz II. (als österreichischer Kaiser dann Franz I.), einen höchst ungewöhnlichen Lebensweg genommen – nehmen müssen. Die vierte Tochter des Kaisers, die 1797 in Wien zur Welt kam und 1826 in Rio de Janeiro starb, war eine der Staatsraison dienende „verkaufte Braut“. Immerhin warb um sie der portugiesische Kronprinz Dom Pedro, dessen Vater zugleich Kaiser von Brasilien war. Eine vorteilhafte Marriage also. Staatskanzler Metternich hatte den Deal eingefädelt, Leopoldine hatte zu gehorchen.
Zeichner und Maler an Bord
Metternich war dann auch der oberste Chef des gewaltigen Unternehmens. Denn der Kaiser wollte auch wissenschaftlich profitieren, wenn er schon so viel Geld opfern musste: Es sollten Wissenschaftler an Bord, Maler, Pflanzenspezialisten, ein Tierpräparator und eine Menge Hilfspersonal auf zwei Schiffen.
Die monatelange gefahrvolle Überfahrt im Jahr 1817 in ferne Lande ist Vorlage für eine spannende Erzählung, die uns nun vorliegt, Wir verdanken sie hauptsächlich Thomas Ender, der quasi als Bildberichterstatter mitgeschickt wurde. Der begnadete Zeichner und Maler hielt schon vom Start weg die Landschaften rund um die Häfen von Pula, Malta, Gibraltar und Madeira fest, ebenso das Alltagsleben auf dem Schiff.
Zum Leiter er teuren Unternehmung befahl der Kaiser den 48-jährigen Mediziner und Botaniker Johann Christian Mikan, nachdem Alexander von Humboldt wegen Überlastung abgewinkt hatte. „Damit beteiligten sich insgesamt 14 Gelehrte, Forscher, Ärzte und Künstler an dem Unternehmen“, schreibt Robert Wagner in dem sehr lesenswerten Buch. Festgelegt worden war auch vom Kaiser, dass die gesamte Expedition in Rio dem österreichischen Botschafter unterstehen solle.
Und es war in der Tat eine Expedition: von Wien nach Livorno mit 24 Kutschen und 114 Pferden, dann weiter auf dem Seeweg mit zwei portugiesischen Linienschiffen und den österreichischen Fregatten Austria und Augusta. Sie sollten vorausfahren und das meiste Frachtgut der Braut in Rio abliefern.
Während die Erzherzogin, die offensichtlich ganz frohgemut gewesen sein dürfte, brav Portugiesisch lernte, gerieten die beiden Vorausschiffe schon an der dalmatinischen Küste in eine solch wütende Bora, dass die Augusta mit Totalschaden einen Hafen aufsuchen und wochenlang repariert werden musste.
82 Tage auf hoher See
Dennoch kamen die Expeditionsteilnehmer samt der kaiserlichen Braut heil in Brasilien an. Dass dies glückte, nötigt auch heute noch höchste Bewunderung ab: So besaß die gesamte kaiserliche Marine nur einen einzigen Chronometer, und der ging kaputt. In Gibraltar wurde ein neuer beschafft.
Nach 82 Tagen auf See sichtete ein Matrose endlich den amerikanischen Kontinent. Das eigentliche Abenteuer der Wiener Prinzessin Leopoldine als spätere Kaiserin von Brasilien sollte damit ja erst beginnen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Was von der Brautfahrt bleibt sind unzählige Skizzen und Landschaftsgemälde Thomas Enders, der mit Meisterhand die üppige Vegetation dieses fernen fremden Landes dokumentierte. Abwechslungsreiche, flotte Lektüre.
(Hans Werner Scheidl, Rezension in der Presse vom 22. Jänner 2022)
https://www.diepresse.com/6088947/eine-poldl-aus-wien-in-rio-de-janeiro
Helga Maria Wolf: [Rezension]
Der fast 500-seitige Band liest sich spannend wie ein Abenteuerroman. Und doch ist jedes Wort wahr. Dafür bürgt der Autor, Robert Wagner, langjähriger Leiter der Bibliothek und des Kupferstichkabinetts der Akademie der bildenden Künste in Wien. Sie besitzt 763 Aquarelle und Zeichnungen des Landschaftsmalers Thomas Ender (1793–1875) aus Brasilien. Robert Wagner hat Ausstellungen dieser Werke in Wien, Sao Paulo und Rio de Janeiro kuratiert und eine dreibändige Monographie mit allen Aquarellen und Zeichnungen Enders herausgegeben. Der spätere Akademieprofessor und Kammermaler Erzherzog Johanns unternahm von Jugend an bis ins hohe Alter zahlreiche Studienreisen. Nach 200 Jahren sind seine Kunstwerke zugleich wertvolle historische Dokumente. Enders großer Mäzen, Wenzel Lothar Fürst Metternich, engagierte ihn 1817 für die österreichische Brasilienexpedition.
Die Forschungsreise war ein Prestigeprojekt des Kanzlers. Er hatte Kaiser Franz II./I. überzeugt, sein fünftes Kind, Leopoldine (1797–1826), mit dem portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro (1798–1834) zu verheiraten. Der Monarch hatte schon seine Tochter Maria Louise (1796–1821) dem Erzfeind Napoleon aus Staatsräson zur Frau gegeben. Nun wollte er nicht auch Leopoldine ins Unglück stürzen, weil ihm die charakterlichen und gesundheitlichen Defekte des Bräutigams bekannt waren. Doch Metternich erwies sich als stärker.
Die erste Kaiserin von Brasilien, die die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Landes wesentlich mitgestaltete, war hoch gebildet und vielseitig interessiert, besonders an den Naturwissenschaften. Sie freute sich, im fremden Kontinent ein reiches Betätigungsfeld zu finden. Das portugiesische Königshaus tat alles, um sie zu beeindrucken. Feste wurden inszeniert, die den Veranstaltern fast den finanziellen Ruin brachten. „Brasilianische Hochzeit“ wurde in Wien zum Synonym für Luxus. Die Erzherzogin erhielt ein in Diamanten gefasstes Portrait des zukünftigen Gemahls. Die Gabe verfehlte ihre Wirkung nicht. Er sei „schön wie Adonis“, schrieb Leopoldine ihrer Schwester. Die anfangs glückliche Ehe endete tragisch. Leopoldine, die maßgeblich zur Entstehung des Kaiserreichs Brasilien beigetragen hatte, wurde von ihrem Gemahl immer schlechter behandelt. Seine Brutalität dürfte auslösend für den Tod der noch nicht 30-jährigen gewesen sein..
Für Metternich standen politische und kolonisatorische Überlegungen im Vordergrund. Diesem Ziel sollte auch die Expedition dienen, deren Oberbefehl er. sich vorbehielt. Der Leiter des k. k. Hofnaturalienkabinetts, Carl von Schreibers (1775–1852), nominierte die Teilnehmer. Er wählte den Zoologen Johann Natterer und den Hofgärtner Heinrich Wilhelm Schott sowie den k. k. Hofbüchsenspanner Ferdinand Dominik Sochor aus. Natterer, dessen Familie sich im Hofnaturalienkabinett schon jahrelang Verdienste erworben hatte, sollte die Expedition leiten. Sein Vater Joseph Natterer sen. (1755–1823) war der letzte Oberstfalkenmeister des Kaisers in Laxenburg. Nach der Auflassung dieses Amtes engagierte ihn Kaiser Franz bei der Einrichtung seines Naturalienkabinetts, dessen Grundstock die ornithologische Privatsammlung von Joseph Natterer sen. bildete. Dessen Sohn Joseph Natterer jun. (1786–1852) betreute die kaiserliche Vogelsammlung, während Johann Natterer (1787–1843) mehrere Transporte, u. a. aus Ägypten und Tunis, mit natur- und kunsthistorischen Gegenständen für das Naturalienkabinett organisierte. Trotz seiner Kompetenz wurde Johann Natterer jedoch übergangen, weil ihm der Kaiser den Prager Mediziner und Botaniker Johann Christian Mikan als Expeditionsleiter vorzog. Dies führte in der Folge zu großen Spannungen und der Abberufung des Professors.
Die Unternehmung stand unter keinem guten Stern. Schon zwei Tage nach dem Start in Triest im April 1817 gerieten die beiden Fregatten „Austria“ und „Augusta“ in Seenot und mussten wochenlang repariert werden. Die „Austria“ traf am 14. Juni in Rio de Janeiro ein. Die „Augusta“ wartete auf die portugiesischen Hochzeits-Schiffe und erreichten ihr Ziel erst im November. Unter welchen problematische Umständen die Forschungsarbeiten durchgeführt wurden, klingt unglaublich: Politische Unruhen, Angriffe der indigenen Bevölkerung, keine Infrastruktur, schlechte Verpflegung, Krankheiten, Verlust der Exponate … lassen sich kaum beschreiben. Robert Wagner ist trotzdem eine detailgetreue Darstellung gelungen. Zusammen mit Enders Bildern entsteht ein faszinierendes, oft erschreckendes Mosaik der Forschungsreise vor 200 Jahren.
Die ersten Teilnehmer traten schon im Juni 1818 die Heimreise an, darunter Prof. Mikan, Thomas Ender und der schwer verletzte Pflanzenmaler Johann Buchberger. Wegen der Unruhen in Brasilien sollten Anfang 1821 alle österreichschen Forscher die Reise abbrechen, doch Natterer blieb – im Ganzen 18 Jahre lang. Auf seinen zehn Reisen besuchte er Gebiete um São Paulo und Rio de Janeiro sowie die Provinz Minas Gerais. Seine Expeditionen führten ihn u. a. zum Amazonas und an die bolivianische Grenze. Er sammelte mehr als tausend Säugetiere, 12.000 Vögel, 33.000 Insekten sowie andere Tiere. 1832 heiratete er die 24-jährige Maria Josepha do Rego. Ihr Vater war Portugiese, ihre Mutter Indianerin. Sie sprach portugiesisch und lebte wie eine Weiße. Ihre Tochter Gertrude Natterer (1832–1895) erhielt ihren Vornamen im Gedenken an Donna Gertrude, die Besitzerin einer Zuckerrohrplantage, die Natterer das Leben gerettet hatte. Gertrude Natterer ehelichte.1851 in Wien den Conchyliologen und Ministerialsekretär Julius Freiherr Schröckinger von Neudenberg (1814–1882), mit dem sie vier Kinder hatte.
1835 verließ Johann Natterer mit seiner Familie Brasilien. Seine mehr als 2000 Exponate aus 70 Ethnien gehören zu den wichtigsten Sammlungen des Weltmuseums und zählen weltweit zu den Bedeutendsten ihrer Art. Da die Anzahl der Objekte alle Erwartungen übertraf, war es schwierig, sie adäquat unterzubringen. Als Provisorium bot sich (1833–1836) das „Brasilianische Museum“ in sieben Räumen des Palais Harrach an. 1835 war Kaiser Franz nach 44 Regierungsjahren verstorben. Sein Sohn Ferdinand I. hatte kein Interesse am Brasilianum. Nach der Revolution von 1848 dankte er ab. Als die kaiserlichen Truppen Wien belagerten, schossen sie das Dach der Hofburg in Brand. Dadurch wurden große Teile des Naturalienkabinetts und die Wohnung Direktor Schreibers' zerstört. Johann Natterer, dessen Verdienste nie wirklich anerkannt wurden, musste das traurige Ende nicht mehr erleben. Er starb 1843 mit nur 56 Jahren an den Folgen der Tropenkrankheiten.
(hmw, Rezension in: Austria-Forum. Das Wissensnetz aus Österreich, online veröffentlicht am 11. Juli 2022)
https://austria-forum.org/af/Kunst_und_Kultur/B%C3%BCcher/B%C3%BCcher_%C3%BCber_%C3%96sterreich_2022/Wagner_-_Brasilianische_Reisen