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Eine versteckte Minderheit

Mikrostudie über die Zweisprachigkeit in der steirischen Kleinregion Soboth

Klaus-Jürgen Hermanik

ISBN: 978-3-85252-817-5
24×17 cm, 316 Seiten, m. farb. Abb., Hardcover
28,00 €
Lieferbar

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Kurzbeschreibung

Die an der österreichisch-slowenischen Grenze liegende Kleinregion Soboth wird in dieser Mikrostudie, die vor allem auf ethnologische, historische und historisch-anthropologische Fundamente gebaut ist, unter einem ganz bestimmten Blickwinkel vorgestellt: Sie wurde auf ihre Zweisprachigkeit hin untersucht, da dort noch im 19. Jahrhundert die slowenische Sprache neben der deutschen mehrheitlich verwendet wurde. Seither kann man einen steten Rückgang des Slowenischen – oder des Windischen, wie die slowenische Sprache in der Vergangenheit und bisweilen noch heute im steirischen Dialekt genannt wird –, feststellen. Gegenwärtig deutet vieles darauf hin, dass sie in der Soboth gänzlich verschwindet.

Die Auseinandersetzung mit dieser Kleinregion an der Peripherie berührt viele verschiedene Aspekte des Wandels und der Veränderung: Dabei zieht sich das Phänomen Grenze wie ein imaginärer roter Faden durch den gesamten Text, ebenso wie die niemals erfolgte Anerkennung der Differenz der slowenisch sprechenden Steirer auf österreichischem Boden. Selbst als es in der Gemeinde Soboth/Sobota, vor allem aber in den weitläufigen Streusiedlungen Laaken/Mlake und Rothwein/Radvanje noch viele Bauern und Keuschler gab, deren Muttersprache Slowenisch war, wurden die Windischen im Rahmen der Nationsbildungsprozesse in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Deutschsprachigen zurückgedrängt. Nach der Grenzziehung (1919/20) bot das Bekenntnis der Slowenisch- sowie Zweisprachigen zur deutschösterreichischen Nation keinen Schutz für ihre doppelte sprachliche Identität. Die explizite Nennung der ›Slowenen in der Steiermark‹ im österreichischen Staatsvertrag (1955) führte ebenso zu keiner rechtlichen und keiner kulturellen Anerkennung seitens der Steiermärkischen Landesregierung. Die slowenisch sprechenden Steirer und Steirerinnen wurden bestmöglich versteckt.


Rezensionen
Georg Oswald: [Rezension]

In der deutschen Fassung des zuerst lateinisch erschienenen Reiseberichts von Sigmund Freyher von Herberstain über „Moscovia der Hauptstat in Reissen“ (1557) geht dieser in seinem Vorwort auf die Verbreitung der slawischen Sprachen ein und spannt den Bogen des Sprachgebrauchs über die Dalmatiner, Bosnier, „Item die Crainer, Khärner untzt an die Traa/deßgleichen die Steyrer vier meil unterhalb Grätz/dann nach der Muer hinab/biß an die Donaw […]“. Für das habsburgische Kronland (und das heutige österreichische Bundesland) Steiermark war das Slawische zumindest bis zum Jahr 1918 ein lebhaft konstitutives Element und konnte über die vehement geführten nationalen Homogenisierungsbestrebungen hinaus in manchen Regionen bis heute überleben. Neben den „Fünf Dörfern“ im Radkersburger Winkel, dem Gebiet um Leutschach, Glanz und Schlossberg an der südsteirischen Weinstraße wird die Region Soboth an den Grenzen zu Kärnten und mittlerweile Slowenien als drittes Siedlungsgebiet erwähnt, in dem sich über die nach dem Ersten Weltkrieg vollzogene territoriale Neuordnung hinweg Staats- und Sprachgrenze nicht deckten. Dieser letztgenannten Region gilt das Forschungsinteresse des Autors, das im Rahmen eines vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) unterstützten Projekts im größeren Rahmen über „Versteckte Minderheiten zwischen Zentraleuropa und dem Balkan“ umgesetzt wurde. Als zentrale These der Studie betrachtet der Autor den Beleg „versteckt“ in seiner doppelten Bedeutung. Eine Minderheit also, welche die Zuschreibung als solche für sich selbst von sich weist, sich zu verstecken trachtet, und die auch von der unmittelbaren und weiteren Umgebung versteckt wird, indem man ihre Existenz nach außen einfach leugnet: „Einerseits ging es darum, dem wachsenden Assimilierungsdruck zu entgehen und das Slowenische wenigstens als Haussprache zu erhalten; andererseits wollte man damit der Diskriminierung durch die deutschsprachige Mehrheitsbevölkerung entgehen, da das Windische gegenüber dem Deutschen als minderwertig angesehen wurde.“ (S.12)

Der Autor arbeitet in seiner Studie diesen doppelbödigen Status historisch und ethnologisch heraus und konzentriert sich dabei auf Identitätszuschreibungen, historische Konflikte, wirtschaftliche Prägungen, die kirchliche Verwaltung, die Rolle der Schulen und schließlich auch auf die mentalen und manifesten Formen der Erinnerungskultur.

Wenn der Autor auf den alltagssprachlich oft diffus verwendeten Begriff der Identität rekurriert, stellt er diesen in den Kontext von Identitätskonstruktionen, die betonen, dass es bei diesem Begriff nicht um vollendete Tatsachen gehen kann, sondern die das Fließende, ständig Veränderbare hervorkehren. Identität ist somit von vielen Bezugspunkten abhängig und weder starr noch bipolar zu denken. Zu Identitätskonflikten kann es kommen, wenn sich etwa sprachliche und nationale Parameter überlagern, wie das für die untersuchte Region seit dem 19., vor allem aber im 20. Jahrhundert charakteristisch wird. „Identitätsmanager“ betreten die Bildfläche und geben Hilfestellungen, unterstützen die Bevölkerung mit Lebensmitteln, um sie für ihre Interessen gewogen zu halten. Besonders deutlich wird das am Untersuchungsfall der Schulpolitik, in der nach erfolgter Grenzziehung vom „Deutschen Schulverein Südmark“ das Gebiet zum bevorzugten Homogenisierungs- oder Ausmerzungsvorhaben wird. In diesem Punkt tritt die Steirische Landesregierung zum Schulterschluss mit dem deutschnationalen Verein an und beschickt die Schulen im Grenzland mit Lehrern, die der slowenischen Sprache nicht mächtig sind und die als Politakteure und Denunzianten in Erscheinung treten. Politik und Pädagogik fügen sich hier zu einem Ganzen.

Weniger eindeutig lässt sich die Rolle der kirchlichen Verwaltung innerhalb der nationalen Auseinandersetzungen bestimmen. Der Autor geht davon aus, dass bis ins 20. Jahrhundert hinein Seelsorger auch politisch meinungsbildend wirkten und untersucht vor dem Hintergrund der Veränderungen der Umgangssprache Pfarrchroniken und Visitationsberichte. Neben der Liturgiesprache Latein wurden die Predigten in der jeweiligen Sprache der Einwohner abgehalten. Die kirchliche Verwaltung nahm dabei auf die jeweiligen sprachlichen Bedingungen des Einsatzgebietes Rücksicht und auch die Diözesanregulierungen stehen mit diesen sprachlichen Besonderheiten in direktem Zusammenhang.

Besondere Beachtung findet in der vorliegenden Untersuchung der zum Mythos mutierte „Identitätsmarker“ Grenzkonflikt im Zuge des schwierigen Unterfangens, nach dem Ersten Weltkrieg in einem kulturell zweisprachigen Gebiet eine nationale Trennlinie ziehen zu müssen. Was in der verordneten kollektiven Erinnerung heroisch als „Abwehrkampf des Deutschtums“ inszeniert wird, erweist sich im historischen Kontext als weitaus differenzierter; das anhand des vorhandenen Quellenmaterials herauszuarbeiten, ist einer der Vorzüge dieser Arbeit. Völlig entbehrlich wird die heldenhafte Selbstzuschreibung vor allem dann, wenn man bedenkt, dass die Kleinregion Soboth, damals verkehrstechnisch nur mit dem Drau- und Lavanttal (also dem Bundesland Kärnten) verbunden, für die Regierung des Bundeslandes Steiermark als Tauschgebiet für andere Regionen zur Disposition stand. Auch was die Aussagekraft von lokalen Abstimmungen zugunsten einer nationalen Option betrifft, so wird vor allem deutlich, dass sich hier kein einheitliches Bild ergibt und dass es für die betroffene Bevölkerung unter dem Druck und den materiellen Versprechungen nationaler „Identitätsmanager“ in erster Linie um eine erhoffte materielle Besserstellung ging, „denn viele Unterschriften wurden unter großem sozialen, wirtschaftlichen oder emotionalen Druck oder nach übertriebenen, haltlosen materiellen Versprechungen geleistet. Dies gilt für Petitionen, die für den Anschluss an den SHS-Staat oder eine Zugehörigkeit zu Deutschösterreich forderten, in gleichem Maße.“ (S.105)

Nach bald einhundert Jahren Assimilierungssarbeit, die auf dem Verleugnen und auf negativen Zuschreibungen des Slowenischen basiert, verwundert es nicht, dass im Konzept dieser Identitätskonstruktion die praktizierte Zweisprachigkeit keinen positiven Wert darstellt. Selbst wenn heute eine private Initiative wie der „Artikel-7-Kulturverein“ für diese sprachlichen und kulturellen regionalen Aspekte eintritt, findet dieser keinen Sobother „Vorzeigeslowenen“, der für Seinesgleichen auftreten würde. Als vor bald zwanzig Jahren eine Studentengruppe des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Graz zu Forschungszwecken eher unbedarft Interviews mit den Bewohnern der Katastralgemeinde Laaken führte, musste man sich mit der von einem Bewohner alarmierten Staatspolizei auseinandersetzen. Dieses ängstlich verteidigte öffentliche Schweigen ist das Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen, vor allem aber der von Abwanderung geprägten wirtschaftlichen Situation. Die meist slowenischsprachigen „Keuschler“ (Kleinbauern) waren die ersten, die in den Industriezentren der Obersteiermark Arbeit fanden und wegzogen. Im pädagogischen Konzept der regionalen Volksschulen wurde, solange sie bestanden, ein zweisprachiger Unterricht nie in Betracht gezogen. Und die kirchliche Verwaltung stellte sich nach und nach auf die neuen Gegebenheiten ein. Über die Grenze hinweg wurden aber familiäre und rituelle Beziehungen weiter aufrecht erhalten.

Klaus-Jürgen Hermaniks Untersuchung liefert mit ihren Forschungsergebnissen einen bedeutenden Beitrag zur Geschichte einer peripheren Region der Steiermark. Nach Andrea Haberl-Zemličs Darstellung über den Radkersburger Raum liegt mit dieser Veröffentlichung eine detaillierte Studie über das westlichste zweisprachige Siedlungsgebiet in der Steiermark vor. Eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse für die Region um Leutschach in Buchform könnte das Panorama der inhomogenen steirischen Sprach- und Grenzlandschaften vervollständigen.

(Georg Oswald: Rezension in H-Soz-Kult veröffentlicht am 13. März 2008)


https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-11224



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